Das Herdenbewusstsein

Kürzlich erschien ein Artikel mit der bahnbrechenden Neuigkeit, dass Dominanz im Pferdetraining nichts verloren hat. Dass es Untersuchungen gäbe, welche zeigen, dass die Pferd-Mensch Beziehung darunter eher leidet. Vielmehr sollte man diese Beziehung auf Verständnis, Klarheit und Ruhe aufbauen.

So froh ich über diese nun wissenschaftlich anerkannte Erkenntnis bin, so schade finde ich, dass dies erst jetzt publik wird. Und dass dennoch viele Menschen kaum verstehen, was damit überhaupt gemeint ist. Wie es denn bloß gehen soll, das Pferd eben nicht zu dominieren. Der Weg ist noch sehr weit für die breite Masse, zu verstehen, dass Tiere in menschlicher Obhut, in diesem Fall Pferde, tatsächlich den großen Wunsch nach einer echten Freundschaft zu uns haben. Sie möchten den Kontakt, sie möchten sich mitteilen, verstanden werden und gute Zeiten mit uns erleben.

Selbst in diesem Artikel gibt es wieder neue Beschränkungen des Pferdeverstandes. So seien sie nur dazu in der Lage, mit dem jeweiligen Gegenüber in Beziehung zu treten. Sie hätten kein Gruppenempfinden. Wüssten nichts über Hierarchien oder Herdenaufbau. Das stimmt so aber nicht. Natürlich wissen Pferde, wer welche Aufgabe in der Herde übernimmt. Sie haben ein Bewusstsein für die Gruppe. Es ist richtig, dass sie dabei nicht in stumpfen Hierarchien denken. Dennoch gibt es aber eine natürliche Aufgabenverteilung: Wer passt auf? Wer findet Futter? Wer findet Wege? Wer passt auf die Jüngeren auf? Wer observiert Neues? Wer schlichtet Streit? Und so weiter. Und natürlich erleben sie dadurch eine gewisse Sicherheit – oder eben Unsicherheit, wenn diese Aufgabenverteilung nicht stimmt, weil zum Beispiel niemand einen wichtigen Job ausführen kann. Natürlich haben sie ein Empfinden, ob eine Gruppe gut und harmonisch ist oder ob es eine unnütze Zweckgemeinschaft ist, die unfreiwillig zusammen steht. Das ist auch richtig so, denn sie müssen wissen, als wie sicher sie ihre Gruppe einschätzen können, um im Zweifelsfall lebenswichtige Aufgaben selbst zu übernehmen. Eine unsichere Herde wirkt sich erheblich auf die Psyche und damit auch auf das körperliche Empfinden des Pferdes aus, also auf das allgemeine Wohlsein.

Aus den jahrelangen Pferdegesprächen, die ich in meiner Tätigkeit als Tierkommunikatorin führen durfte, habe ich das immer wieder gelernt: Faktoren wie Grundversorgung sind zwar wichtig, aber weitaus häufiger sind die Gründe dafür, wenn ein Pferd sich nicht wohl fühlt, eben jene des Miteinanders. Nicht nur unter Pferden – auch und vor Allem unter und mit den Menschen.

Das bedeutet: Stimmt es nicht in der Menschenherde, kann es in der Pferdeherde kaum besser gehen. Unsere Haustiere sind so eng mit uns im Kontakt, dass sie natürlich wissen, ob man sich als Mensch dort im Stall überhaupt wohl fühlt. Pferde stehen im ständigen Kontakt mit ihrer Umwelt. Als äußerst soziale Tiere können sie gar nicht anders. Sie haben die Individuen ihrer Herde im Blick. Da wir mit ihnen umgehen, engen Kontakt zu ihnen pflegen, sogar körperlichen, gehören wir dazu. Sie wissen also, wie es den Mitgliedern ihrer Herde geht. Auch, wie es dem Pferd zwei Weiden weiter geht. Sie wissen um die Stimmung im Stall. Sie wissen vom Leistungsdruck des Pferdes auf dem Reitplatz gegenüber. Sie wissen, ob der Stallangestellte seine Arbeit gern macht und sich geschätzt dabei fühlt. Sie nehmen das alles wahr. Sie wissen am besten, wie es ihren Menschen und ihren engsten Pferdefreunden geht.

Ein Pferd kann noch so gute Grundbedingungen erhalten – genügend Auslauf, bestes Futter, gute Ruheplätze und so weiter. Wenn das Miteinander nicht stimmt und ein oder mehrere Individuen ihrer Herde (zwei- und mehrbeinige) nicht glücklich in ihrer Gruppe sind, leidet auch der Rest der Gruppe. Am meisten derjenige, der dem Unglücklichen am nächsten steht.

Der Mensch spielt hierbei eine viel größere Rolle, als er sich meist zugesteht. Wenn er eine liebevolle, freundschaftliche Beziehung zu seinem Pferd hat oder sie sich auch nur wünscht, ist es fast unmöglich, das Pferd glücklich zu machen, wenn er es selbst nicht ist. Ein Aufopfern bringt nichts als Ungleichgewicht in der Herde. Es gibt dann ein schwaches Glied. Das bedeutet Unsicherheit, diese wird das Pferd wahrnehmen und äußern. Seine Wege sind vielfältig. Ob es diese im direkten Kontakt mit seinem Menschen demonstriert, mit sich selbst ausmacht (psychisch oder physisch) oder an anderen Pferden auslässt, ist typabhängig. Ganz klar sind hierbei nicht nur stumpfe Überlebensinstinkte im Spiel, sondern ganz universelle Gefühle wie Empathie, Liebe, Fürsorge und Verbundenheit.

Meine beiden Pferde Milan und Mouna lehren mich diese Lektion immer wieder aufs Neue, auf immer anderen Ebenen. Mouna war mein erstes Pferd und als ich die Möglichkeit hatte, sie in Eigenregie zu halten, entschied ich, ihr einen Pferdefreund zu kaufen. Ich wollte nicht, dass sie jedes Mal aus einer Pferdefamilie gerissen wird, wenn ein Einsteller umzog. Also ließ ich sie mit aussuchen. Sie wollte gern einen Pferdemann und Milan kam zu uns. Seit dem Moment des Zusammentreffens bis heute sind die beiden eine Einheit, sie führen so etwas wie eine gute Ehe. Sie haben zu zweit, zu dritt, zu siebt, zu zwölft und zu acht gestanden. Immer in Herden mit Pferden jeden Alters, Geschlechts und unterschiedlichen Rassen. Immer blieben sie dabei dennoch ein Ehepaar. Beide sind relativ wichtige Individuen einer Herde, beide decken wichtige Aufgaben gut ab. Milan ist stark darin, eine Herde zusammen zu halten und dafür zu sorgen, dass die Mitglieder fair miteinander sind. Er überwacht Abläufe, die Einhaltung von Routinen und auch die Gesundheit der anderen. Er berichtet bei Krankheiten der anderen direkt an mich. Er erlaubt sich nur wenige Freundschaften in der Herde, meist nur einen Freund neben seiner Stute Mouna. Mouna ist ein wichtiges Bindeglied für alle und sorgt für Fellpflege, Futtersuche und Wohlbefinden. Sie hat viele Freunde, männliche und weibliche. Beide brauchen keine harten Maßnahmen wie Beißen, Schlagen oder Terrorisieren, um diese Aufgaben übernehmen zu können. Sie sind natürlich in ihrer Aufgabenausführung, decken sie gern ab. Sie respektieren auch andere, wichtige Pferde und lassen diesen ihre Aufgaben. Sie bringen relativ viel Sicherheit und Harmonie in eine Herde, wenn man sie lässt. Probleme bekommt vor Allem Milan, wenn eine Herde aus zu vielen abgestumpften Pferden besteht. Solche, die sich nicht einfügen wollen und sich abkapseln oder solche, die absichtlich stören.

Es gibt erschreckend viele Pferde, die ihre natürlichen Aufgaben gar nicht mehr wissen oder nicht mehr ausführen, weil sie sich aufgegeben haben. Dies kommt zustande, weil diese Pferde immer wieder oder ausschließlich unsichere Herden (zwei- und vierbeinige) erlebt haben. Die Ursachen sind vielfältig. Meistens liegen sie in nicht artgerechter Haltung mit zu wenigen, harmonischen Sozialkontakten zu Pferden und Menschen gleichermaßen. Ebenso häufig sind Besitzerwechsel oder zu herzloser Umgang von Menschenseite (zu frühe, zu leistungsorientierte Ausbildung) die Ursachen.

Ebenso aber bekommen meine Pferde Probleme, wenn die menschlichen Herdenmitglieder nicht stimmen. Wenn diese ihren Platz in der Gruppe nicht wissen, gegen die Gruppe arbeiten oder stören wollen. Meine Pferd wissen, dass die Menschen diejenigen sind, die entscheiden. Sie wissen, dass die Menschen um sie herum über ihre Grundbedürfnisse die absolute Macht haben. Genau deshalb ist es von bedeutsamer Wichtigkeit für sie, dass die Menschen sich ebenso harmonisch für die Herde benehmen, wie die pferdischen Mitglieder. Sie haben das Bedürfnis, mit ihnen gut zusammen zu arbeiten und ehrliche Beziehungen zu führen, um ein gutes Miteinander zu schaffen. Sie leiden darunter, wenn das nicht möglich ist und sie auf abgestumpfte Menschen treffen, die harte Maßnahmen wie Dominanz, Ignoranz, Terror oder sogar Gewalt innerhalb der Herde verbreiten. Auch, wenn diese nur innerhalb der zweibeinigen Herde passiert.

Auf Deutsch heißt das, dass das bestversorgteste Pferd, welches friedlich neben seinem Pferdekumpel auf der Weide Gras kaut, unglücklich sein wird, wenn es weiß, dass sein Mensch bei der Arbeit gemobbt wird. Manchmal ist die Verbindung aber auch schon viel eindeutiger.

Milan und Mouna mussten in den letzten 4 Jahren in verschiedenen Pensionsställen ihr Zuhause finden. Meinen eigenen Hof, auf dem sie sich kennen lernten, konnte ich nicht behalten. Sie lernten also verschiedenen Herden kennen. Mouna’s Wunsch blieb es seit dem ersten bis zum letzten Tag in diesen Ställen, immer gleichbleibend wichtig, mit mir wieder zusammen zu leben. Auch für mich war das natürlich ein Traum gewesen, meine Pferde bei mir zu haben. Aber ich hoffte, dass auch unter Obhut anderer Menschen meine Pferde glücklich sein konnten. Außerdem war ich sicher, dass es ihnen als Herdentiere nur gut tut, nicht nur zu zweit zu sein. Dass es wichtiger wäre, eine schöne Pferdegruppe um sich herum zu haben in einem für meine Bedürfnisse zumindest akzeptablen Stall. Dass wir dann alle einigermaßen glücklich sind. Die Rechnung ging nie ganz auf. Es hat sich als nahezu unmöglich erwiesen, einen Stall zu finden, deren Herdenharmonie (zwei- und vierbeinig!) so intakt war und dessen Bedingungen so gut waren, dass wir alle glücklich sein konnten.

Zuletzt hatten wir die Situation, einen von außen betrachtet wirklich idyllischen, tollen Stall gefunden zu haben. Nur acht Pferde in schönster Umgebung mit viel Auslauf und guter Grundversorgung. Die Herde hatte auf Pferdeseite zwei besonders wichtige Mitglieder. Einen Wallach, der als einziges Pferd die Nächte allein draußen verbrachte und alles im Auge hatte; und eine Stute, die prinzipiell unzufrieden war, aber deutlich zu dem Wallach gehörte. Milan bekam die Box neben ihr. Von Anfang an wurde er unentwegt von ihr angezickt, sogar durch die Abtrennung. Sie ließ prinzipiell ihren Frust an ihm aus. Noch am letzten Tag, als wir gingen, spritzte sie ihr Gift zu ihm herüber. Er ignorierte sie, nachdem er anfangs ein paar Schlichtungsversuche gestartet hatte. Mouna freundete sich zwar mit dem Wallach an, aber es war eher ein Dulden der beiden Pferdepaare auf beiden Seiten.

Der Stall wurde betrieben von einem älteren Ehepaar. Sie waren die wichtigen Mitglieder auf Menschenseite. Der Mann war immer dort, immer draußen am Stall unterwegs, hatte alles im Auge. Die Frau war prinzipiell unzufrieden, gehörte aber deutlich zu ihrem Mann und wollte wichtig sein, wenn sie sich zeigte, ohne tatsächliche Aufgaben zu übernehmen. Sie ließ mich von Anfang an spüren, völlig unbegründet, dass sie mich nicht mochte. Sie fand Gründe, mich zu maßregeln (Mouna sollte im Winter keine Decke tragen, ich sollte keine Haare in der Box lassen etc) und erfand Regeln, die nur für mich galten. Noch beim letzten Mal, dass ich sie sah, spritzte sie ihr Gift in meine Richtung. Ich ignorierte sie letztlich, nachdem ich es anfangs versucht hatte, ihr recht zu machen und zu schlichten. Mit dem Mann freundete ich mich zwar an, aber es war eher ein Dulden von uns allen gegenseitig.

Seit drei Wochen wohne ich nun endlich wieder mit allen Mitgliedern meiner Herde zusammen. Obwohl wir nur zwei Pferde sind, ein Hund und zwei Menschen, ist es wirklich unübersehbar, wie deutlich das allgemeine Wohlbefinden, das Sicherheitsgefühl von uns allen, angestiegen ist. Mouna ist quietschvergnügt, nickt, brummelt und wiehert mir bei jeder Gelegenheit zu, beglotzt mich von allen Seiten, wenn sie mich sieht. Sie kuschelt, sucht Nähe und lächelt unentwegt. Milan grunzt vor Freude, wenn er mich sieht, entspannt sich körperlich sichtlich, erlaubt sich direkte Kontaktaufnahme mit uns Menschen (dafür war er sich aufgrund seiner Vergangenheit oft zu stolz), berichtet mir von seinem Tag, fordert auf der Weide Kraulen am Bauch ein (früher ließ er sich dort prinzipiell nicht berühren, machte das Meiste lieber mit sich aus) und beide kommen auf Zuruf, selbst wenn sie nur eine Stunde auf dem heißgeliebten Gras stehen konnten. Beide sind im fremden Gelände völlig tiefenentspannt, selbst wenn ich sie einzeln raus nehme. Beim ersten Spaziergang mit meinen beiden Pferden an der Hand am Halfter, gingen wir zuerst an einer Fohlenweide vorbei mit heranlaufenden Stuten, dann an der Jährlingsweide mit sich erschreckenden Jungpferden, die davon bockten, dann an der Hengstweide, auf der ein Hengst alles gab. Meine beiden schauten nur kurz und gingen selbstverständlich und innerlich ruhig einfach so hinter mir her. Ohne, dass ich sie jemals darauf trainiert habe. Es ist so überdeutlich, wo sie hingehören, dass es mich jeden Tag fast zu Tränen rührt. Selbst ich, die mit Tieren spricht, hat sich gerade mal wieder ein fettes Brett vor dem Kopf abschrauben dürfen, um zu verstehen, wie innig die Beziehung zu meinen Pferden eigentlich ist. Und wie wichtig die Werte einer echten Freundschaft auch mit unseren Tieren sind: Liebe, Empathie, Fürsorge, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität, Verantwortung und vor Allem: Selbstverantwortung. Stark sein zu können für sich selbst, für sich selbst zu sorgen und sein Licht zum Strahlen zu bringen, damit sich die anderen darin sonnen können. Denn eine Gruppe ist immer nur so stark, wie ihr schwächstes Mitglied.

–> Selbst mit Pferden sprechen lernen im Pferdeflüsterer Basiskurs

–> Mit deinem Pferd sprechen lassen

–> Equivolution, die Revolution der Pferdehaltung

Milan und Mouna in unserem neuen Zuhause

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