Pferde werden selten angeschafft, weil man sich einfach an ihrer Anwesenheit oder an ihrem Anblick erfreut. Meistens steckt eine gewisse Erwartungshaltung dahinter, die mehr oder weniger hohe Ansprüche an das Pferd stellt.
Es kann schon etwas Simples sein wie „Ein Pferd muss in den Hänger gehen können, sich von Fremden führen lassen und sich gefallen lassen, überall am Körper von egal wem berührt zu werden.“ Den meisten Pferden aber wird eine größere Erwartung entgegen gebracht. „Das Pferd muss gymnastiziert, geritten, longiert werden. Es muss Bodenarbeit ausführen.“ Das sind in unseren Augen normale Ansprüche an Pferde.
Schauen wir uns das mal etwas genauer an, wird es etwas absurd. Gymnastizieren bedeutet, dass wir meinen, zu wissen, wie dieser Pferdekörper bestmöglich zu bewegen wäre. Als wären wir zertifizierte Physiotherapeuten. Wer schon einmal beim guten Physiotherapeuten oder auch Trainer war, der weiß, dass die Ideen und Ansätze meist gut sind, die Ausführung der Übungen Zuhause oder allein für Normalsterbliche meistens aber schwierig umzusetzen oder gar wenig hilfreich ist. Und das, obwohl wir genau sagen konnten, was uns wie weh tut und wie wir uns bewegen können und wollen und wie nicht. Was uns gefühlt gut tut und was nicht. Dabei sitzt nicht mal jemand mit einem Zehntel unseres Körpergewichts auf unserem Rücken, schnürt uns mit Metall, Leder und Holz ein, um uns in eine spezielle Haltung zu bringen. Ein gesunder Körper wird eben nicht von außen nach innen modelliert, sondern anders herum.
Doch das ist es, was wir von unseren Pferden und ihren Körpern erwarten. Wir benutzen sie ungefragt nicht nur auf diese Weise, sondern haben dazu die hochmütige Einstellung, dass ihnen das auch noch gut tun würde. Obwohl fast niemand, der sein Pferd „gymnastiziert“ tatsächlich Ahnung hat, wie ein Pferdekörper wirklich agiert, funktioniert, fühlt und sich unter Belastung verändert. Es fängt schon damit an, dass sogar unter den angeblichen Fachleuten auf diesem Gebiet fast alle einen blinden Fleck auf der Sattellage der Pferde haben. Dort, wo man diesen „unsichtbaren Sattel“ liegen sieht, gehören eigentlich Muskeln hin, die vom starren Sattelbaum weg gedrückt wurden. Muskelathropie nennt sich das. Soll das wirklich eine gute Gymnastizierung sein oder ist es möglich, dass die Idee eines angespannten Reiters, der mittels Kraft und Schnüren das Pferd in eine Haltung zwingt, der absolute Holzweg ist? Ist es vielleicht möglich, dass diese Art des Reitens vor allem einem gut tut: Dem Macht ausführenden Menschen, der weder wahrnimmt, ob das Pferd überhaupt Lust hat, eine halbe Stunde in einer dunklen, öden Halle dabei Kreise zu ziehen, noch wie es sich dabei fühlt, seelisch und körperlich?
Ja, es gibt sie. Die wenigen Pferde die tatsächlich gern „arbeiten“, doch sind sie sehr wenige. Davon wiederum ein vernichtend geringer Anteil wird zumindest nicht eklatant physiologisch schädigend bewegt. Dieses Thema lässt sich in vielen Aspekten noch viel spezifischer betrachten, doch soll es heute um Eines gehen:
Ist es wirklich gerechtfertigt, dies von seinem Pferd zu erwarten?
Die Antwort lautet Nein. Doch sind wir es alle so gewohnt. Falls sich doch mal jemand traut, seinem Pferd zumindest die Wahlfreiheit oder eine Meinung zuzugestehen, so wie es für Hunde und Katzen größtenteils selbstverständlich ist, wird er direkt von anderen Pferdehaltern zurecht gewiesen. Nicht, weil sie es alle tatsächlich besser wissen und ganz bestimmt auch nicht, weil sie dem Pferd einen Gefallen tun möchten. Sondern weil es bedeuten könnte, dass man sein eigenes Tun in Frage stellen müsste, wenn jemand anderes durch ehrliche Kommunikation mit seinem Pferd eine tiefere, liebevollere Bindung erreicht, als man selbst. Und das macht Angst. Es bedeutet Selbstreflektion. Um diese zu umgehen, wird man also besserwisserisch und macht andere klein.
Und so folgen die meisten dem, was angeblich wichtige, laute Reiter ihnen beigebracht haben. Die Mehrheit denkt, ein Pferd müsste funktionieren. Ein großer Teil dieser Mehrheit wünscht sich aber auch eine Freundschaft zu seinem Pferd. Hofft auf Zuneigung und Freude, die es mit seinem Pferd ehrlich teilen kann.
Wenigen Menschen ist bereits klar, dass eine so prägnante Erwartung an ein denkendes, fühlendes Wesen und eine liebevolle, ehrliche Beziehung zwei Pole sind, die sich gegenseitig abstoßen. Wer schon mal einen Partner hatte, der immer nur seine Bedürfnisse durchsetzen wollte, ohne Rücksicht oder gar Einsicht auf die Meinung seines Gegenübers, der weiß, dass hier kein Wohlfühlen möglich ist. Selbst bei gut gemeinten Erwartungen nicht. So funktionieren Partnerschaften nicht. Auch nicht mit Pferden.
Ein Pferd zu kaufen mit einer Idee, was es einem bringen, welche Träume es einem erfüllen und welche Ziele es erreichen soll, ist nicht förderlich für die liebevolle, freundschaftliche Beziehung zu diesem wundervollen Wesen. Es besetzt einen Raum. Es gibt vor, es erzeugt Druck. Es bewirkt einen Tunnelblick auf den einzig möglichen Weg. Setzt das Pferd einen Huf abseits dieses Weges, verwirrt es seinen Menschen meistens massiv. Auf einmal weiß keiner von beiden mehr, wo man überhaupt ist oder was zu tun ist. Der Mensch ist hilflos, das Pferd unsicher. Nichts geht mehr. Es hagelt gute Ratschläge von außen, die sich aber auf einmal nicht mehr richtig anfühlen. In dieser Situation befinden sich fast alle meine Kunden, wenn sie mich als Pferdeflüsterer beauftragen.
Nun stell dir vor, du würdest einfach alle Ansprüche an dein Pferd lachend über die Schulter werfen wie ein leeres Glas auf einer schlechten Party und dich auf den Weg machen. Zusammen mit deinem Pferd. Denn ihr beide wisst am allerbesten, wo es lang gehen soll, was sich richtig und was sich falsch anfühlt. Wie in einer guten Freundschaft könnt ihr eure Bedürfnisse äußern, aufeinander achten, Kompromisse eingehen und mal etwas ausprobieren, was der andere vorgeschlagen hat. Mal verlässt du dabei deine Komfortzone, mal dein Pferd seine. Aber immer als Einheit. Und mit dem Wissen: Ich pass auf dich auf. Egal, was ist. Egal, ob du etwas wirklich nicht kannst oder willst. Denn es geht nicht darum, was du leistest, sondern wer du bist. Und allein das, dich zu erleben in deiner größtmöglichen Entfaltung, macht mich froh und lehrt mich so viel für mein eigenes Leben.
So entsteht Vertrauen in Beziehungen. So darf Liebe wachsen. So entsteht dieses Gefühl, für den anderen Bäume ausreißen zu wollen, nur damit er sich freut. Auch bei Pferden! Besonders bei Pferden! Denn sie finden uns viel toller, als wir ahnen. Ihr Bedürfnis nach Freundschaft zum Menschen ist tatsächlich groß. Mach diesen Raum für euch auf, indem du euren Raum leerst von allen falschen Vorstellungen, Erwartungen und Glaubenssätzen, die du Pferden gegenüber hast. Hör auf dein Pferd, anstatt auf andere. Erst dann kann es einen selbstgewählten Schritt auf dich zu machen, in euren Raum hinein. Und das ist es doch, was du dir wünschst. Oder?
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