Lakritze für den Räuber.

Gestern hatte ich einen Pferdezahnarzt da. Meine beiden Pferde kennen nur die beste Zahnbehandlung, ich lasse extra ausgebildete Pferdedentisten kommen. Tierärzte mit Zusatzqualifikation reichen mir nicht. Ich würde auch keinen Hausarzt mit Wochenendausbildung an meine Zähne lassen.

Damals als Leiterin einer Zucht lernte ich eine nach Louis Pequin ausgebildete Pferdezahnärztin kennen, wir behandelten alle 25 Pferde zusammen. Sie arbeitete mit wassergekühlten, elektrischen Geräten und Handraspeln. Meine Aufgabe war es, die Pferdeköpfe zu halten, denn die Pferde wurden alle leicht sediert, damit sie die Prozedur gut über sich ergehen ließen. Sie ließ mich die Zähne vorher und hinterher ertasten und erklärte mir unaufhörlich ihre Arbeit, die ich danach sehr zu schätzen wusste. Pferdezähne wachsen ihr ganzes Leben, der Abrieb durch die ständige Raufutteraufnahme sollte den Zahn automatisch gut kürzen. Doch welches unserer Pferde bekommt schon Raufutter satt und dazu noch Triebe, Zweige, Rinden und so weiter, um einen perfekten Zahnabrieb und eine vielseitige Fütterung abzudecken? Wir können zwar Pulverchen füttern, um den Mineralhaushalt zu optimieren, aber von Pülverchen nutzen sich eben keine Zähne ab. Also gibt es Menschen wie diese.

Gestern hatte ich einen neuen Herren da. Sein Name ist Graeme Pauli, er ist aus Kapstadt und mehrmals im Jahr in Deutschland unterwegs, um Pferdezähne zu behandeln. Er arbeitet ohne Sedierung. Ich hatte schon öfter von einem Mann gehört, bei dem die Pferde einfach so ruhig blieben, dass er sie so behandeln konnte. Meine letzte Pferdedentistin konnte ich monatelang nicht erreichen, so dass ich kurzerhand mir einen Termin bei Herrn Pauli geben ließ. Ich war gespannt auf sein Auftreten.

Als ich gerade auf den Hof kam, war er schon dort. Ehe ich ihn begrüßen konnte, kam der Hofbesitzer auf mich zu. Milan, mein Wallach, hätte gerade scheinbar grundlos den anderen, großen Wallach angegriffen. Völlig unbegründet in seinen Augen. Ich hatte es leider verpasst, dachte mir aber, dass er so etwas nie grundlos tun würde. Ich ging also zu Herrn Pauli und seinem Dolmetscher und begrüßte die beiden. Der Mann war sehr angenehm, lustig und gelassen. Dann holte ich meine Pferde. Beziehungsweise stand meine Stute Mouna bereits am Tor und blickte uns freudig entgegen. Ich öffnete das Tor, sie trat hindurch und schlüpfte in ihr Halfter. Sie hasst eigentlich jegliche Menschen, die irgendeine Art von Helfersyndrom ausstrahlen und die an sie heran wollen. Tierärzte, Osteopathen, Tierheilpraktiker und Hufschmiede sind generell unbeliebt. Normalerweise lässt sie sich sehr bitten und aus der letzten Ecke abholen, wenn solche da sind. Heute nicht. Milan stand weiter hinten am Heu und fraß. Ich rief ihn und er setzte sich in Bewegung, kam durchs Tor direkt zu uns.

Was soll ich sagen? Beide Pferde waren und blieben die Ruhe selbst. Mouna schaute hier und da etwas angestrengt, aber ich habe schon gesehen, wozu sie im Stande ist, wenn man über ihre Grenzen geht! Nichts davon passierte, sie stand fast ruhiger, als beim Hufschmied. Milan mag es, untersucht zu werden. Er kann gar nicht genug davon bekommen, wenn man ihn irgendwie besonders behandeln muss. Er liebt die Aufmerksamkeit und lässt sich gern helfen. Er schaute erst etwas traurig und ließ den Kopf hängen, als er von dem Mann ans Halfter genommen wurde. Nach ein paar netten Worten aber ließ er sich willig und zu meiner Überraschung sogar freudig trotz Maulsperre die Zähne raspeln. Herr Pauli stellte fest, dass Milan Karies hat. Wohl schon seit vielen Jahren. Einige seiner Zähne seien davon bereits abgebrochen. Ob ich ihn mit Zucker füttern würde. Ich dachte nach, ob die Leckerlis vielleicht Zucker enthielten, aber eigentlich achte ich darauf. Auch bekommt er kein melassehaltiges Futter. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die Vorbesitzerin fand es irgendwie immer toll, Milan mit Lakritzschnecken zu füttern. Ihr „Räuber Hacki“ würde das doch so mögen. (Milan hieß damals… Hacki! Wie Hackfleisch… das konnte nicht so bleiben). Dass der „Räuber“ damals so genervt von der Frau und seinem ständigen Bauchweh war (zu wenig Heu und Kraftfutter), wusste sie nicht. Er ließ sich nicht mal mehr von ihr von der Weide holen. Ihre einzige Verbindung zu ihm war, ihn mit Süßigkeiten zu füttern. Was sie ihm damit antat, weiß ich jetzt. Milan weiß es auch. Herr Pauli riet mir, sein Maul öfters mit einem Schlauch auszuspülen. Ich berichtete, dass er beim Waschen im Sommer immer darauf besteht, dass ich ihm den Schlauch ins Maul stecke. Er erwiderte, dass das vermutlich auch deshalb so ist, WEIL er es genießt, die Futterreste heraus gespült zu bekommen. Schlauer Milan. Wie schlau er aber wirklich ist, das kam einmal mehr heraus, als mir der Pferdezahnarzt dann berichtete, dass sie in der Zeit, in der sie auf mich warteten, schon mal versucht hatten, zu raten, welches der 8 Pferde meine sind. Er riet Mouna richtig, aber er dachte, der große Wallach sei meiner. Der, den Milan angriff, kurz bevor ich kam. Der Mann sagte: „Vielleicht hatte er gehört, dass ich ihn fälschlicherweise zu deiner Stute zugeordnet hatte und wollte das richtigstellen.“ – Ich verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass ich mit Tieren spreche und er tatsächlich Recht damit hatte. Milan und Mouna sind wie ein altes Ehepaar. Sie gehören absolut zusammen, Milan neigt etwas zu Eifersucht und Mouna etwas zu Polygamie, aber definitiv sind und waren sie immer eine Einheit. Ich antwortete also nur: „Ja, das kann tatsächlich sein!“ und er sagte: „Es hat schon merkwürdigere Dinge gegeben.“ Ich nickte nur. Und wusste nun: Dieser Mann versteht sein Handwerk. Er versteht die Pferde. So wie ich.

Wer Graeme Pauli gern mal für sein Pferd buchen möchte, wendet sich bitte an mich, ich leite dann zum deutschen Kontakt weiter. Er ist 4 x jährlich für 2 Wochen in Deutschland und hat noch ein paar Plätze frei.

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