Die Angebote sind in den letzten Jahren immer mehr geworden. Reittherapie, pferdegestützte Therapie oder, für Erwachsene verpackt, Coaching mit Pferden. Man sehnt sich danach, mit Tieren eine Verbindung einzugehen. Endlich mal raus in die Natur, Fell streicheln, Landluft, mal was anderes als der Schul- oder Arbeitsalltag. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind Pferde die Ersatzkörper, auf welchen sie sich neu spüren und bewegen können. Für Menschen mit psychischen Störungen sind Pferde die sanften Kommunikationspartner. Klingt alles ganz toll und heilsam – für uns Menschen.
Dass Pferde ganz eigene Persönlichkeiten haben, ist vielen schon bewusst, aber so richtig verstanden haben es die meisten dennoch nicht. In all den Jahren als Tierkommunikatorin für Pferde ist das sehr deutlich für mich geworden. In den Pferdegesprächen gleicht kein Pferd dem anderen. Dass ein Pferd eine eigene Persönlichkeit hat, bedeutet, dass es auch ganz individuelle Bedürfnisse mitbringt. Das geht los bei der Fütterung, gilt für alle anderen Lebensaspekte von Pferden genauso, auch für den, mit wem sie in Kontakt treten. Pferde sind in ihrem Grundverhalten als Herdentiere sehr sozial. Genau wie Menschen. Sie reagieren auf andere Wesen, wenn diese in ihren Wahrnehmungsraum (der sehr viel größer als die größte Reithalle ist) treten, das liegt in ihrer Natur. So wie wir Menschen. Und genau wie bei uns Menschen gibt es welche, die nicht so gern in Kontakt treten, selbst wenn sie erstmal freundlich wirken und Reaktion zeigen.
Es gibt, bei Mensch und Pferd, einige wenige Persönlichkeitstypen, die gern andere therapieren wollen und es auch noch von Natur aus gut können. Dieser Typ Mensch ist ebenso selten, wie der Typ Pferd, der sich in irgendeiner oben beschriebenen Form der Menschentherapie gern und selbstgewählt betätigt. Diesen Pferden macht es nichts aus, dass kaputte Kinder ihre Traumata bei ihnen abladen. Sie tragen jede Last übergewichtiger Patienten oder solcher, deren Körper von Schmerz geprägt sind. Sie reagieren beruhigend oder bestätigend auf ausgebrannte, verhärtete Angestellte. Sie spüren alles mit, sie hören alles, sind empathisch, liebevoll und stark. Ihnen geht die Nächstenliebe nie aus, sie definieren ihr Dasein darüber, was für eine starke Schulter sie für andere sein können. Sind sie besonders weise, vergessen sie sich selbst nicht mal dabei.
Wie viele Menschen kennst du, die so sind? Diese Zahl kannst du, prozentual und ungefähr, auf die Anzahl dir bekannter Pferden übertragen, die auch so sind. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass “Therapiepferde” fast alle ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind und darunter in individueller, meist intensiver Form leiden. Sie werden gezwungen, engen körperlichen und seelischen Kontakt zu gestörten und kranken Menschen zu haben, die einen Teil ihres Leides bei den Pferden abladen.
Die Bezeichnung beschreibt es ganz gut: pferdegestützt. Sie sind die Stützen, meist unfreiwillig, für geplagte Menschen. Oft ist der dazugehörige Mensch, der sich diese Tätigkeit für seine Pferde ausgesucht hat, selbst nicht mal der richtige Typ dafür und wälzt sein eigenes Bedürfnis danach, mit Pferden auch beruflich zusammen zu sein, über diese Arbeit ab. Es ist Zeit, dass wir verstehen, dass die verklärte Idee von tiergestützter Therapie (dasselbe gilt für alle Therapietiere), die immer gleich als “gut” empfunden wird, in den allermeisten Fällen nur 50% der Teilnehmenden zuträglich und dem anderen Anteil schädlich ist. Es ist Zeit, dass wir verstehen, dass Pferde nicht dazu da sind, uns zu dienen. Selbst der Zweck heiligt nicht die Mittel.
(Buchveröffentlichung “Wahre Freundschaft mit Pferden” 20. Juni 2022 im Kosmos Verlag. Hier geht es zur Pferdeflüsterer Ausbildung.)