Die Sache mit dem Spiegel

Schon lange möchte ich diesen Artikel schreiben. Dieses Thema hat bereits Bücher gefüllt von mindestens zwei meiner liebsten Kolleginnen und doch ist es etwas, wo ich erstmal durchatmen muss, wenn ich damit konfrontiert werde.

Meine Arbeit versucht, Verständnis zu schaffen und zu vermitteln. Zwischen Tier und Mensch. Nicht nur zwischen Mensch und sich selbst. Deshalb tippe ich heute doch etwas dazu, ich werde immer wieder danach gefragt. Es geht um dieses Thema:

„Mein Tier spiegelt mich! / Mein Tier ist mein Spiegel!“

Es gibt den Irrglauben unter uns Tierhaltern, dass unsere Haus- und Hoftiere immer das zeigen, was wir eigentlich sind, tun, erleben, denken und fühlen. Dass wenn ich zu viel Stress habe, mein Hund davon Krebs bekommt. Dass wenn ich mich unwohl in einer Situation fühle, mein Pferd es nur tut, weil ich es tue. Dass wenn ich Liebeskummer habe, meine Katze anfängt, unrein zu werden, weil auch sie so leidet.

Grundsätzlich ist die Idee daran nicht verkehrt. Aber sie ist doch weitaus komplexer, dazu komme ich später. Was mich an dieser Spiegel-Sache aber maßgeblich schon immer gestört hat, ist dies:

Ein Spiegel ist ein Objekt, welches keine Eigenschaften besitzt, außer leblos zu sein und diesen einen Nutzen zu haben: Mit seiner starren Oberfläche ganz genau wiederzugeben, was davor steht. Einfach zu reflektieren und aufzuzeigen. Es wird einzig dazu genutzt, sich seinem Ego zu widmen: Wie sehe ich aus, wie wirke ich? Es befähigt einen dazu, sich selbst in seinem nahen Umfeld zu sehen. Zu sonst nichts. Es hat keinen eigenen Charakter, keine Geschichte, kein Profil. Es spiegelt nur jemand anderen.

Sind unsere Tiere wirklich nicht mehr, als eine reflektierende Oberfläche, die stumpf einfach immer wiedergibt, was bei uns los ist? Und ist uns klar, dass wenn wir von Spiegeln sprechen, es immer nur im ein Individuum gehen kann, um welches sich angeblich dann alles dreht? Meinen wir wirklich, dass wir das Zentrum des Universums sind, um das sich alles dreht und dass alle anderen nur dazu da sind, uns zu reflektieren? Besonders unsere Tiere?

Ja, das meinen wir. Das ist leider tatsächlich die Meinung vieler Menschen. Sogar derer, die denken, sie seien besonders tierlieb. Je tierlieber, umso egozentrischer, könnte man in manchen Fällen sogar meinen. Denn manchmal ist übertriebene Tierliebe tatsächlich ein Kompensator für eigene Probleme, die nicht angesehen werden möchten. Also stürzt man sich auf noch Schwächere und versucht dort, alles wieder gut zu machen, was an einem selbst verbrochen wurde. Gerade sehr selbstkritische und traumatisierte Menschen neigen dazu, diese Spiegel-Sache intensivst zu verfolgen. Leider vergessen sie dabei, dass je mehr sie dabei im Spiegel nach Bestätigung dessen suchen, umso weniger sie ihr Tier wirklich wahrnehmen. Dabei wollten sie damit ursprünglich genau das bezwecken: Ihr Tier besser verstehen und die Verbindung zwischen ihnen und dem Tier intensivieren.

Wenn es sich aber immer nur um einen dabei dreht, man immer nur sich selbst dabei sieht, kann das nicht funktionieren. Die Ebene der Beziehung bleibt dann immer eine unausgeglichene, in der das Tier nur reflektieren, nur reagieren und nur anzeigen darf, was der Mensch in sich wiederfindet. Es wird dabei nicht wirklich angehört. Es hat keine Chance, seine eigene Geschichte zu erzählen, weil auf ein synchrones Vorkommnis immer sofort die Spiegel-Theorie gestülpt wird.

Dabei geht es viel tiefer. Wenn wir nur einen Moment nachdenken und erlauben, dass das Tier seine eigene Geschichte, sein eigenes Leben, seine eigene Seele und seinen eigenen Lebensauftrag hat, dann wird uns eins schnell klar: Es darf auch eigene Themen haben. Es darf sogar eigene Beweggründe haben, wenn es etwas zeigt, was wir auch haben. Es darf sogar, und jetzt Obacht!, es darf sogar derjenige sein, der in den Spiegel blickt. Und du bist es, der spiegelt.

Das ist übrigens auch der Grund, warum mir Seminare im Stile von „Coaching mit Pferden“ grundsätzlich erstmal missfallen. So wie therapeutisches Reiten einst aus dem Boden spross, hat sich über die letzen Jahre eine Flut von Angeboten breit gemacht, in denen man lernen darf, wer man ist – mit dem Pferd als Lehrer. Oder noch besser: Wie gut man als Führungskraft ist. Dass die Pferde dabei gezwungen sind, auf fremde Menschen zu reagieren und einzugehen, weil sie nicht anders können und dass die meisten Pferde dazu überhaupt keine Lust haben bzw auch nicht alle dazu gemacht sind, Lehrer für Menschen zu sein, interessiert nur Wenige. Wir arbeiten uns munter an den Pferden ab und denken, dass es wahnsinnig aufregend sei, wie wir da in eine schnelle Beziehung gegangen sind. Und wieder geht es nur um uns. Ob das Pferd dabei lernt, dass ständig neue Menschen ankommen, die kurze, stümperhafte Beziehungen an ihm ausprobieren und dann wieder verschwinden und es sich dabei benutzt fühlt, darüber denkt kaum einer nach. Schon wenn man einen Hund anstelle des Pferdes stellen würde und sich versucht vorzustellen, wie fremde Menschen sich daran versuchen, mit ihm Gassi zu gehen, so dass er sich dabei brav verhält und wenn man es schafft, sei man eine gute Führungskraft, das klingt absurd. Noch weiter gesponnen wären Kinder, die man versucht, dazu zu bringen, der eigenen Führung zu vertrauen… als Bestätigung dessen, dass man gut darin ist. Ich lasse das Thema lieber sein, es artet aus.

Zurück zum Spiegel:

Ein Tier ist ein Individuum. Es hat Gedanken, Gefühle, Geschichten, Erlebnisse und Erinnerungen, es steckt in seinem Körper und bringt einfach alle Aspekte mit ins Leben, die wir als Säugetier-Menschen auch mitbringen. Es ist genauso komplex. Die Ameise so sehr wie der Elefant oder der Delfin so sehr wie das Pferd, der Hund und das Meerschweinchen. Ein Tier ist genauso Mittelpunkt seines Universums wie du und ich es in unserem sind. Es hat Berechtigungen und Veranlagungen, dass bestimmte Vorkommnisse in seinem Leben zu bewältigen oder zu durchleben sind. Ein Hund, der Krebs bekommt, ist also niemals einfach nur ein Opfer deines Stresses! Er hat selbst die Veranlagung zu dieser tragischen Krankheit mitgebracht, in allen Facetten.

Warum also stellen wir aber immer wieder fest, dass es direkte und offensichtliche Verbindungen gibt zwischen dem, was mein Tier zeigt und dem, was bei mir los ist?

Die Antwort ist einfach und liegt eigentlich auf der Hand, wenn man sein Tier liebt: Es geht um die Seelenschnittmenge.

Dein Tier und du, ihr habt euch gefunden. Viele Menschen, denen ich in meiner Arbeit begegne, berichten sogar genau das: „Mein Tier hat mich ausgesucht und nicht umgekehrt.“ Ja, das hat es. Weil es in dir gesehen hat, dass du es verstehen wirst. Dass genau du derjenige bist, der seine Schwächen akzeptieren kann. Der seine Art versteht, der seine Macken nachvollziehen kann. Manchmal erledigen das auch höhere Kräfte, aber wenn mich meine Arbeit eins gelehrt hat, dann dies: Dass man zusammen gefunden hat, hat immer den tieferen Sinn, das Leben gemeinsam besser meistern zu können. Ob das Gemeinsame nun anstrengend oder einfach nur leicht wird, ist dabei egal: Man hat sich, um voneinander zu lernen. Und so lernt ihr – du UND dein Tier. Du passt zu ihm, also kann es sein Leben einfacher leben, denn gemeinsam ist man stark. Ihr habt eine Seelenschnittmenge. Und je größer sie ist, umso synchronisierter verlaufen eure Leben gemeinsam. Und manchmal ist es dann so, dass ihr alle drei den ganzen Winter hustet, so wie meine Pferde und ich dieses Jahr, aber einer von uns lebt das Thema am meisten aus, was damit verknüpft ist, weil das Thema in seinem Leben am größten ist, aber wir alle drei haben es. Oder dass ihr alle beide menschenscheue, hypersensible Typen seid, die sich nichts sagen lassen, so wie mein Hund und ich. Trotzdem darf dabei nie vergessen werden, dass dieser Hund eben eine Vorgeschichte hat, die ihn zu dem macht, der er ist. Gepaart mit dem, was seine Seele und seinen Körper mit in dieses Leben gebracht haben, ist er genau der Hund, der heute bei mir ist. Der Weg mit mir hat noch viel dazu getan und auf diesem Weg haben wir uns noch mehr aneinander angeglichen, weil es uns beiden half. Ich habe meine Arbeit und meine Wohnsituation immer auf seine Bedürfnisse angepasst und ganz nebenbei habe ich damit das größte Geschenk meines Lebens erhalten: Ich habe seinetwegen gelernt, mit Tieren zu sprechen und mit all dem, wie ich lebe und arbeite schlussendlich auch mein eigenens Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, Ruhe und Nähe zu ihm bedient. Weil uns so viel verbindet. Und dennoch darf er sein eigenes Leben leben und nur weil er Menschen gern beißt, die in seinen Augen bedrohlich wirken, tue ich es nicht auch. Oder zumindest nicht so heftig, ich schnappe nur. Denn meine Vorgeschichte aus diesem Leben ist nicht ganz so dramatisch, wie seine. Und doch reicht sie, um sein Verhalten zu verstehen, für mich selbst daraus zu lernen und damit leben zu können. Weil wir eine sehr große Seelenschnittmenge haben. Die manchmal absurd synchrone Vorkommnisse in unser Leben bringt. So wie dass wir gleichzeitig tief durchatmen, seit Jahren. Selbst jetzt, wo er zu taub ist, um meinen Atem zu hören. Weil wir zutiefst verbunden sind. Deshalb leben wir manches gemeinsam aus. Nicht er für mich, nicht ich für ihn. Sondern WIR für UNS! Man kann uns nicht mehr teilen. Wir gehören zusammen und agieren zusammen. Es bin nicht nur ich, die hier gerade arbeitet und den Artikel schreibt, er liegt daneben und macht mit. Jetzt hechelt er, weil wir uns anstrengen. Wir sind wie ein Wesen mit 4 jeder Arm kann helfen, alles zu meistern. Der eine Arm kümmert sich darum, dass hier Ruhe herrscht, der andere holt schon mal das Futter. Und so ist für uns gesorgt.

Unsere Körper und unsere Idee vom Menschsein gaukeln uns Abgrenzung vor. Und so kommt es, dass wenn diese Synchronizität mit unseren Tieren passiert, wir sie uns erst einmal nur so erklären können: Das Tier muss mich abgegrenzten Menschen irgendwie wiederspiegeln. Immer, wenn dir dieser Gedanke kommt, dann denk an die Seelenschnittmenge und wisse: Es gibt einen gewissen Bereich, in dem nicht mehr wichtig ist, wer es mitgebracht hat, denn es gehört zur gemeinsamen Lebensmasse. Niemand hat „Schuld“ und beide können daran arbeiten und damit leben und lernen. Dem einen schadet oder hilft es genau so viel, wie dem anderen. Weil ihr verbunden seid, über Raum, Zeit und Logik hinweg.

Wenn man das versteht, dann wird auch dieser letzte Aspekt logisch, den ich nun noch darlegen möchte: Übertriebene Selbstkritik ist unangemessen! Wenn du immer versuchst, es deinem Tier bloß recht zu machen. Wenn du den Fehler immer bei dir selbst suchst. Wenn du immer nur in den Spiegel zu blicken versuchst, wird dein Tier nicht glücklich sein. Warum? Denk an die Seelenschnittmenge – weil du es auch nicht bist! Weil es nicht nur dich, sondern immer nur euch beide gibt! Es nützt nichts, deinem Tier alle möglichen, aufwändigen Behandlungen zukommen zu lassen, wenn es krank ist, während du dabei seelisch am Stock gehst und körperlich aus dem letzten Loch pfeifst! Es hilft dem Tier nicht, wenn du dir nicht erlaubst, du selbst zu sein, mit deinen Schwächen und Tiefen, Stärken und Höhenflügen, nur um zu funktionieren. Es möchte dich so, wie du bist. Weil es nur dann auch so sein darf, wie es ist! Und nur das macht glücklich.

Das größte Geschenk in einer Beziehung ist, wenn einen das Gegenüber dazu befähigt, voll und ganz man selbst sein zu dürfen. Ihr kennt das Gefühl aus jeder guten Partnerschaft: Man darf mal schwach, mal blöd, mal zickig, mal stark, mal übertrieben gut gelaunt oder ganz anders sein, als man sich der Welt täglich zeigt. Das schafft eine echte Bindung, weil man zusammen sich nicht mehr verstellen muss. Weil man dann alles zusammen meistert und sich die Kräfte potenzieren. Weil man voneinander und miteinander lernt, in absoluter Vereinigung. Das ist wahre Liebe. Und die braucht keinen Spiegel, die sieht auch ein Blinder.

–> Lerne, mit Tieren zu sprechen.

–> Lass dein Pferd sprechen.

–> Werde Pferdeflüsterer

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